Projekte

Sabine Arend

Promotion:

Studien zur deutschen Kunsthistorischen Ostforschung im Nationalsozialismus: Die Kunsthistorischen Institute an den (Reichs-) Universitäten Breslau und Posen und ihre Protagonisten im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik.

In der Arbeit wird herausgearbeitet, wie sich neben der Geschichtswissenschaft auch die Kunstgeschichte an der Volkstumsforschung beteiligte und ihren Beitrag zur Legitimierung der deutschen Politik in Osteuropa zu leisten bereit war. Neben der Rekonstruktion der Institutionengeschichte stehen dabei vor allem die Handlungsträger im Mittelpunkt. Hier galt das Interesse vor allem den Handlungsspielräumen der Fachvertreter. Methodisch greift diese Arbeit auf mehrere Zugänge zurück: institutionengeschichtliche, biographische, ideengeschichtliche und handlungstheoretische Ansätze werden kombiniert.

Download:
http://edoc.hu-berlin.de/dissertationen/arend-sabine-2009-07-15/PDF/arend.pdf

Ulrike Enke

 

Aktuelles Forschungsprojekt:
Biographie des Wissenschaftlers und Unternehmers Emil von Behring

mehr unter: http://www.uni-marburg.de/fb20/evbb/mitarbeiter/behringbio

Levke Harders

Promotion:
American Studies. Disziplingeschichte und Geschlecht

Diese Arbeit stellt eine erste Fachgeschichte der American Studies in den USA dar. Dabei werden sowohl konzeptionelle und diskursive als auch personelle, institutionelle und soziostrukturelle Bedingungen für Wissenschaftlerinnen in dieser Disziplin analysiert. Die Studie erscheint 2013 in der Reihe ‚Transatlantische Historische Studien‘ des Deutschen Historischen Instituts in Washington, DC.

Aktuelles Forschungsprojekt:
Arbeitsmigration in Europa im 19. Jahrhundert

In diesem Forschungsprojekt werden saisonale Nah- und Fernwanderungsbewegungen von Arbeitskräften innerhalb Europas vergleichend analysiert. Im Fokus stehen dabei erstens die unterschiedlichen strukturellen und individuellen Bedingungen und Kontexte von Arbeitsmigration sowie zweitens die sich durch Migration verändernden Diskurse und Praktiken, also Machtverhältnisse und Handlungsspielräume. Die Studie analysiert die sozialen und kulturellen Veränderungen, die Arbeitsmigration in Herkunfts- und Zielregionen sowie während der Wanderung auslösten. Wanderungsbewegungen im 19. Jahrhundert waren Ergebnis, aber auch Ausgangspunkt gesellschaftlicher Modernisierung und der Herstellung von Differenzen. Untersucht werden daher Gründe für Migration und die sozialen wie beruflichen Möglichkeiten von Migrant_innen. Darüber hinaus wird nach den Ex- und Inklusionsprozessen an den Arbeitsorten und in den Herkunftsgemeinschaften gefragt. Arbeitsmigrant_innen überschritten nicht nur Staats-, Sprach- und ‚Kultur’grenzen, sondern der transitorische Ort der Migration eröffnete den Beteiligten neue Handlungsspielräume. Mit ihrer Mobilität waren Migrant_innen Teil transkultureller Prozesse. Durch Migration, so die Hypothese, veränderten sich Diskurse und Praktiken der Mehrheitsgesellschaft. Gleichzeitig wurden diese Grenzüberschreitungen reguliert, um nationale, ständische und konfessionelle Ordnungen aufrecht zu erhalten.

Link:
http://wwwhomes.uni-bielefeld.de/lharders/

Ruth Heftrig

Promotion:
„Fanatiker der Sachlichkeit“. Richard Hamann und die Rezeption der Moderne in der universitären deutschen Kunstgeschichte 1930-1960

Die Frage, wie sich Kunsthistoriker an deutschen Universitäten unter verschiedenen politischen Bedingungen (Deutsches Reich, Besatzungszeit, DDR, BRD) zur modernen Kunst positioniert haben, steht im Zentrum des Promotionsvorhabens. Der Fokus richtet sich auf die Wechselwirkungen zwischen den Bereichen Universität und Wissenschafts- bzw. Kulturpolitik. Das Agieren der Wissenschaftler, die sich im Zeitraum von 1930 bis 1960 mit „der Moderne“ auseinandergesetzt haben, wird anhand von Publikationen und archivalischen Quellen analysiert. Die Studie wird einerseits einen Überblick über Umfang und Art der Modernerezeption geben, und andererseits anhand ausgewählter Akteure zeigen, ob und wie sich die kunsthistorische Tätigkeit unter wechselnden politischen Bedingungen konkret veränderte.

Carsten Heinze

Dissertation:

Identität und Geschichte in autobiographischen Lebenskonstruktionen: Jüdische und nichtjüdische Vergangenheitsbearbeitungen in Ost- und Westdeutschland
In der Arbeit werden die Wechselwirkungen und Zusammenhänge zwischen narrativer Identitätszuschreibung und zeitgeschichtlicher Erfahrungsverarbeitung am Beispiel autobiographischer Schriften aus Ost- und Westdeutschland beleuchtet. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Differenzierung jüdischer und nichtjüdischer Lebenszeugnisse. Die Arbeit verfolgt auf der einen Seite ein erkenntnistheoretisches Interesse hinsichtlich der Frage, wie Geschichte, Erinnerungskultur und autobiographisches Schreiben als identitätskonstituierender Akt miteinander verbunden sind, auf der anderen Seite wird dieses Verhältnis anhand empirischer Studien von Einzelfällen in seinen zeitgeschichtlichen Bezügen aufgewiesen.

Julia Herzberg

Promotion:

Gegenarchive. Bäuerliche Autobiographik zwischen Zarenreich und Sowjetunion.
Gewalttätig, naiv und stumm – nach der Aufhebung der Leibeigenschaft 1861 galt diese Charakterisierung des russischen Bauern nicht mehr. Der Bauer wurde zum Symbol für eine in Bewegung geratene Gesellschaft. In Autobiographien und Tagebüchern erzählten Bauern ihre Leben als Sklaven, Autodidakten oder religiös Erweckte und eroberten eine Leserschaft, die in diesen Texten neben dem vermeintlich ›echten‹ Bauern auch alternative Gesellschaftsentwürfe fand. Julia Herzberg analysiert Entstehungssituationen, Publikation und Überlieferung dieser einzigartigen Quellen bis zur Kollektivierung der 1930er Jahre, die mit der bäuerlichen Autonomie auch das Erzählen über das eigene Leben erstickte.

Christiane Hess

Promotionsprojekt:

Lager/ Zeichnung. Funktionen und Rezeptionen am
Beispiel des Frauen-KZ Ravensbrück und des KZ Neuengamme (Arbeitstitel),

Visuelle Selbstzeugnisse von Häftlingen der Konzentrationslager Ravensbrück und Neuengamme stehen im Mittelpunkt des Projekts. Die Forschungsfragen fokussieren auf drei Themenfelder: die Praxis des Zeichnens im Lager, die Sujets der Zeichnungen, sowie die Gebrauchs- und Rezeptionsweisen nach 1945. Unter Einbeziehung der Kategorien Gewalt, Körper und Geschlecht werden Fragen nach Perspektiven der Zeichner_innen auf sich selbst, die Mithäftlinge, die Täter_innen und den Ort Konzentrationslager gestellt. Theoretisch und methodisch verortet sich die Arbeit an Schnittstellen von neuerer Konzentrationslager- und Holocaustforschung, Studien zur visuellen Kultur, der historischen Anthropologie und der Erinnerungsforschung.

Alexis Hofmeister

Seit 2013 am Basler Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte Projektkoordinator des Forschungsprojekts „Imperial Subjects. Autobiographische Praktiken und historischer Wandel in den Kontinentalreichen der Romanovs, Habsburger und Osmanen (Mitte 19. – frühes 20. Jahrhundert)“ [www.imperial-subjects.ch] und Verantwortlicher des Teilprojekts: „Selbst Geschichte schreiben. Jüdische autobiographische Praxis in den Reichen der Romanovs, Habsburger und Osmanen“.

Ulrich Prehn

Promotion:

Max Hildebert Boehm. Radikales Ordnungsdenken vom Ersten Weltkrieg bis in die Bundesrepublik

Im Zentrum der biographischen Untersuchung über den „Volkstumsforscher“ Max Hildebert Boehm steht die Analyse von Kontinuitäten und Wandlungen im deutschen rechtsintellektuellen Milieu im 20. Jahrhundert. Der Fokus liegt auf dem Wissenschaftsverständnis und dem politischen Beitrag Boehms als Begründer einer „rechten“ Volkstheorie. Ebenso geht es um den Einfluss des ethno-politischen Experten vom späten Deutschen Kaiserreich bis in die Bundesrepublik. Die Studie verfolgt nicht nur ideengeschichtliche Fragestellungen, etwa nach der Transformation der Ideen von „Volk“, „Staat“ und „Nation“ oder des rechtsintellektuellen Europa-Diskurses, sie beleuchtet auch die Handlungsfelder und Netzwerke des Protagonisten. Zwischen Außenseiterpositionen und partieller Nähe zu gesellschaftlichen Funktionseliten changierend, verkörperte der „bekennende Ideologe“ Boehm einen Intellektuellentypus, den die bisher gängigen Zuschreibungen wie „Ostforscher“, „konservativer Revolutionär“ oder „Wegbereiter“ des Nationalsozialismus nicht hinreichend abzubilden vermögen.

Aktuelles Forschungsprojekt:
Tradition, „Eigen-Sinn“ und nationalsozialistische Formierung: Fotografien der Arbeitswelt

Die Sphäre der Arbeitswelt war bereits Jahrzehnte vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland ein Bereich, in dem die politisch-gesellschaftliche Mobilisierung von Menschen ebenso wie ihre „Einordnung“ in den Betrieb stark über visuelle Medien hergestellt wurde. Doch erst seit den 1920er-/30er-Jahren fotografierten Arbeiterinnen und Arbeiter in zunehmendem Maße auch sich selbst, ihre Arbeit und Freizeit sowie ihre sozialen und politischen Aktivitäten.
In der Studie werden Traditionen und Adaptionen, Überschreibungen und Neuerungen auf dem Feld fotografischer Repräsentationen von Arbeitswelt und Arbeiterkultur seit den 1920er-Jahren sowie deren Wandlungen im Nationalsozialismus in den Blick genommen. Zentral ist dabei die Frage nach den verschiedenen Repräsentationsweisen von „Arbeit“, Arbeiterinnen und Arbeitern sowie nach entsprechenden Modi der Erinnerungsproduktion, wenn es um so unterschiedliche Quellenbestände wie die professioneller Auftrags- und Industriefotografen und jene von Privatpersonen – ambitionierten Amateurfotografen und sogenannten Knipsern – geht.
Deswegen werden der quantitativ dominanten Werksfotografie und der unter genuin nationalsozialistischen Vorzeichen stehenden politischen Fotografie der Arbeitswelt sowie der „Organisation“ und Formierung der arbeitenden Menschen in der Analyse bewusst auch solche Aufnahmen an die Seite gestellt, die in anderen Kontexten überliefert sind. Diese zeigen zum Teil eine Sicht „von unten“ beziehungsweise dokumentieren sie mitunter eine individuelle fotografische „Handschrift“ und einen gewissen „Eigen-Sinn“. Solche Fotografien, für die bisweilen auch Spuren überwiegend privaten Gebrauchs oder privater „Aneignungen“ nachweisbar sind, stammen zumeist aus Nachlässen, privaten Sammlungen, Geschichtswerkstätten, kommunalen Archiven und Museen.

Link: http://www.geschichte.hu-berlin.de/bereiche-und-lehrstuehle/dtge-20jhd/forschung/laufende-forschungsprojekte/fotografie-im-nationalsozialismus

Nora Probst

Promotionsprojekt:
Objekte, die die Welt bedeuten. Zu den Anfängen theaterwissenschaftlicher Forschung in Köln.

In der Konsolidierungsphase der Theaterwissenschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts traten ethnographisch geprägte Forschungsmethoden in Konkurrenz zu geistesgeschichtlichen Ansätzen. Dabei rückte die Frage nach dem ‚Ursprung‘ des Theaterspiels in den Fokus, deren Beantwortung man sich aus der Untersuchung von kultischen und rituellen Handlungen, Festen, Zeremonien, Prozessionen und Tänzen von ‚Naturvölkern‘ erhoffte.
Das Promotionsprojekt untersucht die epistemologisch motivierte Tätigkeit des Sammelns und Präsentierens von Objekten im Rahmen früher theaterwissenschaftlich-ethnographischer Forschung. Dabei geraten epistemologische, nicht-sprachliche Strategien und Wissenschaftspraktiken in den Fokus – wie etwa das Sammeln von Objekten, die vergleichende Betrachtung in Ausstellungen sowie wissensvermittelnde Dia-Vorträge, Lecture Performances und Re-Enactments.
Der Nachlass von Carl Niessen (1890-1969), Begründer der Theaterwissenschaftlichen Sammlung, bildet einen Grundstock der Quellen für dieses Promotionsprojekt. Aus der Überzeugung heraus, Theaterwissenschaft müsse als eigenständige Wissenschaftsdisziplin betrieben werden, entwickelte Niessen einen auf performative Handlungen ausgerichteten Forschungsansatz, der dem Logos der Literaturwissenschaft den Mimus, den angeborenen Drang zur Darstellung, entgegensetzte und so den Bogen von kultischen und rituellen Handlungen, Festen, Zeremonien, Prozessionen und Tänzen von ‚Ur-Völkern‘ hin zu den Phänomenen des europäischen Theaters spannte. Niessens Vorgehensweise war dabei geprägt von einem eklektizistischen Verfahren vergleichender Betrachtungen, das mit der Bildung eigenwilliger Analogieketten heute beinahe „postmodern“* anmutet. Gleichwohl scheint es für den späteren ‚performative turn‘ in der Theaterwissenschaft eine Reihe von Impulsen vorwegzunehmen. Das Projekt einer erkennenden Zusammenschau – dessen begriffliche Einlösung Niessen letztlich schuldig blieb – reiht sich ein in die Genealogie der Versuche, das Funktionieren von ‚Kultur‘ grundsätzlich zu begreifen und greift damit aus auf Konzepte nicht-schriftlicher Wissensvermittlung in den sich neu formierenden Kulturwissenschaften des frühen 20. Jahrhunderts.

* Christopher Balme: Carl Niessen: Handbuch der Theater-Wissenschaft. Relektüre. In: Forum Modernes Theater 24, Heft 2 (2009), S. 183-189, hier S. 184.

Falko Schnicke

»Geschichte als Körperpolitik. Wissensordnungen und Geschlechterdispositionen der deutschen und britischen Geschichtswissenschaft des späten 18. und 19. Jahrhunderts«

Das interdisziplinäre Projekt erarbeitet wissenschafts- und geschlechtergeschichtliche Untersuchungen zu den Körperpolitiken in der deutschen und britischen Geschichtswissenschaft des späten 18. und 19. Jahr­hun­derts, die für die soziale und epis­­te­­mologische Ausrichtung des Faches wesentlich sind. Das Erkenntnisziel liegt in den als wirk­mäch­tige Prämissen fungierenden vor-inhaltlichen Zuschrei­bungen, die den kul­turellen Rah­men der For­schung bilden. Einbezogen werden zwei Gegenstände: zum einen Semantiken der Selbstbeschrei­bung der Disziplin, die konkrete Arbeitsschritte verge­schlechtlichen und sexualisieren und Histo­rikerporträts, die repräsentativ für die wissenschaftliche Geschichtsschreibung stehen zum anderen. Für beide Ge­genstände werden die mehr oder weniger verdeckt ablaufenden, gewaltvollen Sprach- und Bildhandlungen untersucht, die auf biologische und symbolische Körper gerichtet sind, um (wissen­schafts)
poli­ti­sche Interessen zu artikulieren und durchzusetzen. Mit dieser Konzeption reagiert das Projekt insofern auf die vor­liegende Forschung, als es (1) weitgehend abstinente geschlechter-, körper- und sexualitätsgeschichtliche Aspekte in die Wissenschaftsgeschichte integriert, (2) die ebenfalls unterrepräsentierte visuelle Herstellung sozialer Wirklichkeiten ernst nimmt und (3) die bislang häufig national ausgerichtete Wissen(schaft-)sforschung methodisch erweitert. Das Projekt ist demgegenüber als Beitrag zur vergleichenden Wissensgeschichte Europas angelegt und kombiniert transferanalytische mit vergleichenden Ansätzen. Dafür sind Deut­sch­land und England besonders als Objekte geeignet, weil die Disziplinentwicklung in beiden Ländern zwar zeitlich versetzt verlief, sie dennoch korrespondierte und in wesentlichen Teilen aufeinander bezogen war.

Promotionsprojekt:
Nach einem bekannten Urteil gilt die Geschichtswissenschaft als eine männliche Disziplin. Was heißt das aber genau? Das Dissertationsprojekt geht dieser Frage nach und verfolgt dabei sowohl das Ziel, diese These zu präzisieren, als auch, sie zu differenzieren: Auf welchen Ebenen fand eine Vermännlichung statt und welche Männlichkeiten spielten dabei eine Rolle?
Als Quellen werden zwei Gegenstände einbezogen: Texte der Selbstbeschreibung der Disziplin und Histo­rikerportraits. Über sie wird rekonstruiert, welches disziplinäre Wissen wie und warum mit Geschlechter- und Körperwissen verschmolzen wurde.
Mit dieser Konzeption erweitert das Projekt die vor­liegende Forschung in vierfacher Hinsicht: (1) Es geht einem Gemeinplatz der Disziplingeschichte nach und präzisiert wie korrigiert ihn; (2) es integriert bislang abstinente körpergeschichtliche Aspekte in die Historiographiegeschichte; (3) es nimmt die ebenfalls unterrepräsentierte visuelle Herstellung sozialer Wirklichkeiten ernst; und (4) es leistet einen Beitrag zur allgemeinen Körpergeschichte, indem es die Ergebnisse aus der Analyse des konkreten empirischen Material in einer übergreifenden Systematik unterschiedlicher Körperadressierungen und -verwendungen resümiert.

Alexa von Winning

Promotionsprojekt:
„Keine Privatsache: Familienbiographie, Orthodoxie und imperiale Politik im russischen Reich, 1850-1930“

Die meisten Familienbiographien sind unbedarfte Erzählungen über Leben und Schicksal mehr oder weniger bekannter Familien, deren Erkenntnisgewinn oft kaum über die untersuchte Familie hinausreicht. Dies ist allerdings kein unumstößliches Defizit der Gattung. Dem Promotionsprojekt liegt die Annahme zugrunde, dass die Familie der zentrale „missing link“ zwischen Menschen und Gesellschaft ist: Die Familie bietet die primäre Arena, in der sozialer, ökonomischer und kultureller Wandel gelebt und gestaltet wurde. Ihr kommt auf diese Weise eine aufschlussreiche Scharnierfunktion zu, um die Wechselwirkungen zwischen Individuen auf der einen und übergeordneten Institutionen und Diskursen auf der anderen Seite in den Blick zu nehmen.

Für den russischen Adel des 18. und 19. Jahrhunderts hatte die Institution der Familie eine fundamentale Bedeutung. Auf der Familienzugehörigkeit baute die privilegierte gesellschaftliche Position der individuellen Edelleute auf; die Familie konstituierte maßgeblich die adelige Lebenswelt. Die Protagonist/innen des Dissertationsprojekts sind Angehörige dreier Generationen der Adelsfamilie Mansurov, die von den 1850ern Jahren bis in die frühe Sowjetzeit gelebt und gewirkt haben. Das einigende Band ist ihr Engagement für die russische orthodoxe Kirche und den orthodoxen Glauben: Das Spektrum der Tätigkeiten reicht vom Einsatz für russische Pilger im Nahen Osten über Klostergründungen in Riga bis hin zum Kampf gegen die frühe Religionspolitik der Bolschewiki. Die Untersuchung der Familie Mansurov ermöglicht es daher, ein Panorama adeliger Religiosität in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu zeichnen. Darüber hinaus werden die Verflechtungen zwischen Orthodoxie und Imperium in den Blick genommen.

Christian Weber

Dissertationsprojekt:

Max Kommerell. Eine intellektuelle Biographie

Die intellektuelle Biographie Kommerells stellt ein brisantes, erst in Ansätzen erschlossenes Kapitel der deutschen und europäischen Wissenschafts- und Kulturgeschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dar. Kommerells umfangreicher, im Nachlass erhaltener Briefwechsel zeigt die Einbindung in unterschiedliche Entwicklungsprozesse der Zeit – von der Jugendbewegung über den George-Kreis bis hin zur Rolle der Wissenschaften im Nationalsozialismus. Die Materialfülle unveröffentlichter Quellen aus dem Kommerell-Nachlass im Deutschen Literaturarchiv Marbach ermöglicht es, unbekannte Gesichtspunkte in Kommerells Werk und Korrespondenz zu entdecken und dadurch neue Bewertungen seines Lebens und seiner Arbeit