„Doing Family“ (19. Treffen)
(20. bis 22.10.2016 in Lüneburg, Leuphana Universität)
Begriff und Konzepte von „Familie“ und einer ihr angemessenen biografischen Darstellungsweise bzw. Gattung standen im Mittelpunkt des 19. ZetBi-Treffens. Jede Darstellung, die (ein/mehrere) Leben erzählt, muss sich zu dieser aktuell viel diskutierten Einheit/Größe/Kategorie zumindest hinsichtlich ihres Status als narratives, meist auch visuelles Element verhalten. Denn: wo/wann/bei wem fängt es an, das zu erzählende ,Bios‘, sofern es nicht aus dem Ei schlüpft und als Nestflüchter autonom ist, wie es selten bei Menschen der Fall ist, und wo/wann/mit wem hört es auf?
Auf dem Treffen präsentierte Darstellungsvarianten des ,Doing Family‘ waren mit den Sopranos ein (fiktiver) Mafia-Clan der US-amerikanischen gehobenen Mittelklasse und die (historischen) Familien von Thomas Mann und Paul Ehrlich. Als geeignetes Instrumentarium nicht nur für Praxis und Theorie (familien-)biografischen Arbeitens, sondern auch zur adäquaten Rezeption der gezeigten Folge aus „Die Sopranos. Eine etwas andere Familie“ stellte Lena Radtke (Studentin der Leuphana) die von Jens Eder entwickelte narratologische Figurenanalyse vor. Unter den Angeboten der Sekundärliteratur, Familie als Kontext, Konzept, Konstruktion beziehungsweise kulturelle Praktik der Konstituierung und Vergemeinschaftung aufzufassen oder als Erfahrungsraum beziehungsweise Orientierungsrahmen zu bestimmen, wurde vor allem Alexa von Winnings Vorschlag (in: „The Empire als Family Affair“) diskutiert: ähnlich dem Verfahren der Netzwerkanalyse wird hier Familie zunächst neutral als eine Akteurskonstellation bestimmt, die ein spezifisches Macht- und Traditionsgefüge bzw. eine besondere Form von Öffentlichkeit repräsentiert und auf diese Weise Funktionen familiärer Beziehungen (,strong ties‘ ) hervortreten lässt.
Ein besonderes ,making of family‘ präsentierte Tilmann Lahme (Verwaltungsprofessor für Mediengeschichte und kritische Publizistik an der Leuphana) im moderierten Wechselgespräch mit Myriam Richter: Er las öffentlich aus seinem von S. Fischer erfolgreich verlegten Buch „Die Manns. Geschichte einer Familie“. Wie aus der brieflichen Alltagskommunikation eine überraschend ergiebige Quelle für die Neubewertung des Zusammenspiels eines bis dato bekannt geglaubten ,Figurenensembles‘ werden kann, führt die Montagetechnik aus acht Blickwinkeln vor: Das so gewonnene Vexierbild bestätigt Thomas Mann einerseits wie gehabt als vertrauten Familienmittelpunkt und verdrängt ihn andererseits an die Peripherie – zugunsten des vielbeschworenen Kollektivbewusstseins aller, eigenständiger Teil einer ,amazing family‘ zu sein. Als weiteres Projekt, Familie als einflussreich Faktuales im fiktionalen Stil zu erzählen, stellte Axel Hüntelmann die geplante Erweiterung seiner Paul-Ehrlich-Biographie vor, in deren Fokus ein auf die Familie(n) fokussiertes Netzwerk steht, gleichsam ein generationaler Resonanzraum zwischen den Leitbegriffen ,Aufstieg‘ und ,Untergang‘, eine Art transgenerative Traditionsbildung um Ehrlich als Identifikationsfigur.
Alle diskutierten Beispiele und Ausführungen bezeugten die Tücken des Sujets: Die vielschichtige Biographie einer Gruppe, deren Mitglieder sich durch (Bluts-)Verwandtschaft und ein weiter zu bestimmendes Zugehörigkeitsgefühl definieren, basiert auf dem Spezifikum einer Art von Ambivalenz, die sich sowohl strukturell als auch individuell auswirkt (u.a. Dynamik vs. Stabilität, Inklusion vs. Exklusion, Herkunftsfamilie vs. Wahlverwandtschaft); eine ihr entsprechende Darstellungsweise hat all dies der jeweils herausgearbeiteten Konstellation angemessen zu berücksichtigen.
(aktueller Ausstellungshinweis: Die Familie. Ein Archiv. Eine Ausstellung im Rahmen des Forschungsverbunds Marbach Weimar Wolfenbüttel im Literaturmuseum der Moderne, 21.09.2017–29.04.2018)